Inklusion durch Innovation: Treppensteigender Rollstuhl
Studierende der RWTH Aachen für 1A-Award nominiert
Es gibt ca. 1,6 Millionen Rollstuhlfahrer in Deutschland. Trotz dieser hohen Zahl gab es kaum technische Innovationen in den letzten Jahren – Fehlanzeige. Einen Rolli, der Treppen überwindet oder sich nach oben ausfahren lässt, gibt es noch nicht. Studierende der RWTH Aachen haben eine Lösung entwickelt. Dafür wurden sie nun für den 1A-Award nominiert.
Ein innovativer Rollstuhl, der Treppensteigen und Höhenunterschiede überwinden kann. Das ist die Erfindung einer Gruppe von Studenten aus Aachen. Aber es geht nicht allein um eine Produkt-Innovation, sondern um echte Inklusion durch Innovation. Das ist der Anspruch des Vereins Autak, den 16 Studierende vor etwas über einem Jahr gegründet haben. Genauer gesagt am 5. Mai 2021, dem Aktionstag für Menschen mit Behinderung. „Unsere Vision ist nicht, einen neuen Rollstuhl zu entwickeln, sondern eine neue Mobilität zu erschaffen“, erklärt Gernot Sümmermann, einer der führenden Köpfe bei Autak.
Das Konzept des Gefährts fußt auf drei Säulen: Hardware, Software und Awareness. Und was die Studierenden im übertragenen Sinne auf die Beine gestellt haben, ist beeindruckend. Einen Prototyp gibt es dank Crowdfunding bereits.
So sieht ihr Konzept für den Rollstuhl von morgen aus: Treppensteigen? Der neue Rollstuhl meistert dank eines neuen Denkansatzes jegliche Treppenstufen, sodass ein sicheres Überwinden der Treppen gewährleistet ist, ohne dabei abzurutschen. Denn Teile des Rades passen sich an die Stufenhöhe an.
Auf Augenhöhe? „Ein Gespräch auf Augenhöhe oder das Erreichen höher gelegener Orte werden mit unserem Rollstuhl einfacher“, sagt der Student euphorisch. Sozusagen Höhen überwinden mit Autak. Die ausfahrbaren Speichen des Rollstuhls machen dies möglich. Hindernisse? Die Räder passen sich jedem Untergrund an, ob Bordsteinkanten, Kopfsteinpflaster oder Waldboden.
Die Technik dahinter ist anspruchsvoll. Die Studierenden haben quasi das Rad neu erfunden. „Statt aus einem Reifen besteht das Rad der Zukunft aus ausfahrbaren Zylindern, mobilen Elementen und Motoren, die alles in Bewegung bringen“, erklärt Sümmermann. Ein ganz entscheidender Vorteil: „Dieses Rad kann sich flexibel der Umgebung anpassen und tatsächlich in mehrerer Hinsicht Barrieren überwinden.“
Wie funktioniert das ? „Wir haben an den Rollstuhl sechs elektrische Zylinder montiert, an denen stabile Holzteile angebracht sind – die Form der einzelnen Elemente erinnert an eine Banane.“ Der Clou: Drückt man einen Knopf, fahren die Zylinder aus, die Elemente des Hinterrades expandieren und gleichen damit die Höhenunterschiede der Treppenstufen aus. Jeder Transportstuhl besitzt zwei solcher Räder, die von leistungsstarken Elektromotoren angetrieben werden, um den Auf- und Abstieg zu ermöglichen. Vorne sind Sternräder montiert, wie bei eine Sackkarre. Noch funktioniert das Gefährt nur im Rückwärtsgang, an einer Lösung für vorwärts arbeiten die Studierenden noch.
Schon anspruchsvoll in der Theorie, eine echte Revolution in der Praxis. Aber es funktioniert! Bei aller Innovation steht beim Verein Autak der soziale und verbindende Gedanke im Vordergrund. „Deshalb wird die gesamte Entwicklung Open Source sein, sodass jeder sich einen autarken Rollstuhl nachbauen kann“, erklärt Sümmermann. „Auch ist es uns wichtig, dass Interessierte am Projekt mitarbeiten können. Zum Beispiel an einer Software für Treppenerkennung und einer Lösung für eine Regenschirmhalterung am Rolli.“
Der Nominierte
Gernot Sümmermann (24) studiert an der RWTH Aachen Maschinenbau, ist aber bereits Seriengründer mit Cynteract (einem innovativen Reha-Handschuh), RefresherBoxx (Hygienegerät, das Viren, Bakterien und Pilze eliminiert) und Autak. Zurzeit arbeitet er in Seoul (Südkorea) an einem internationalen Projekt.
Bildquellen: Gernot Sümmermann