1A-Award 2022,  Arzt

Kategorie Arzt: Prof. Dr. Mark Oette mit Sonderpreis „Courage“ ausgezeichnet!

Prof. Dr. Mark Oette arbeitet seit 30 Jahren im Kölner Krankenhaus „Serverinsklösterchen“. Fast genauso lange kümmert er sich ehrenamtlich um die medizinische Versorgung von Wohnungslosen. Dafür wird er jetzt mit dem Sonderpreis „Courage“ des 1A-Awards ausgezeichnet. Der Gewinner im Interview.

In vielen Krankenhäusern werden Obdachlose nicht gerne gesehen, bei Ihnen ist das anders. Warum?

Prof Dr. Mark Oette: Seit der Geburtsstunde des „Severinsklösterchens“ im Jahre 1874 hat sich vieles im Gesundheitswesen verändert, aber eines nicht. Das Haus, gegründet von der Ordensgemeinschaft der Cellitinnen nach der Regel des heiligen Augustinus, trägt den Namen „Krankenhaus der Augustinerinnen“ und hat eine lange Tradition in der Unterstützung Hilfsbedürftiger.

Und das hat sich bis heute nicht geändert …

Prof Dr. Oette: Unser Haus blieb seinem Standort in der Kölner Südstadt treu, ist entsprechend seiner christlichen Grundorientierung immer für alle Menschen unabhängig von deren Religion und sozialen Herkunft da und hat durch zahlreiche Modernisierungen sein medizinisches und pflegerisches Angebot stetig ausbauen können.

Auch Sie selbst engagieren sich zusätzlich zu Ihrem Chefarztposten ehrenamtlich für eine bessere medizinische Versorgung von wohnungslosen Menschen. Wie kam es dazu?

Prof Dr. Oette: Im Krankenhaus hatte ich vom ersten Tag an Kontakt mit Menschen, die medizinische Hilfe brauchen, aber nicht krankenversichert sind. Für diese Menschen hält das Gesundheitssystem keine ausreichenden Strukturen bereit. Für mich war immer klar, dass ich dort helfe, wo die Hilfe am dringendsten benötigt wird.

Seit 1995 verfolgen Sie mit dem Verein „Gesundheit für Wohnungslose“ einen sehr pragmatischen Ansatz. Wie funktioniert das?

Prof Dr. Oette: Montags und mittwochs steht ein Bus des Gesundheitsamtes der Stadt Köln mitten in der City, direkt am Appellhofplatz. Dort bietet ein Team, bestehend aus ehrenamtlich tätigen Ärzten, Pflegekräften und Fahrern eine medizinische Erstversorgung für Menschen, die auf der Straße leben. Das Angebot ist kos­tenlos, niederschwellig und wird begleitet von einer Gratis-Essensausgabe.

Wie finanzieren Sie das?

Prof Dr. Oette: Komplett aus Spenden. Viele Menschen unterstützen inzwischen unsere Arbeit. Mittlerweile können wir Streetworker anteilig bezahlen, Psychotherapie für Obdachlose anbieten. Wir unterstützen andere Einrichtungen der Kölner Obdachlosenhilfe und springen auch ein, wenn im Einzelfall Kosten für eine medizinische Behandlung übernommen werden müssen.

Was ist das Ziel des Angebots?

Prof Dr. Oette: Ganz klar die medizinische Versorgung von Wohnungslosen vor Ort auf möglichst hohem fachlichem Niveau. Wir versuchen, diese Menschen wieder ins medizinische Regelleistungssystem und in gesicherte Wohnverhältnisse zu vermitteln. Das machen wir in ganz enger Kooperation mit einem Projekt, das vom Sozialdienst Katholischer Männer in Köln betrieben wird.

Was sind die größten Herausforderungen?

Prof Dr. Oette: Wir müssen unser Angebot sehr niederschwellig und mit direkter Hilfe anbieten. Das schaffen wir vor allem durch die räumliche Nähe zur Mühlheimer Arche, wo sich viele sozial benachteiligte Menschen tagsüber aufhalten und kostengünstig Essen bekommen. Unsere Patienten haben oftmals Schwierigkeiten, Termine einzuhalten.

Was unterscheidet die Caya-Praxis sonst noch von anderen Praxen?

Prof Dr. Oette: Wir setzen komplett auf eine direkte Versorgung, das heißt: Medikamente werden vor Ort ausgegeben. Wenn wir Rezepte ausstellen würden, wäre es eher unwahrscheinlich, dass unsere Klientel sie auch wirklich in der Apotheke einlöst.

Das ist ein ungewöhnlicher Ansatz – wie geht das logistisch?

Prof Dr. Oette: Wir haben ein kleines Lager mit den wichtigsten Medikamenten in der Praxis. Möglich macht das eine Kooperation mit der Birken-Apotheke in Köln. Sie liefert die Arzneien in für uns sinnvollen Größen. Weil für die Behandlungszyklen überwiegend geringere Mengen nötig sind, werden die Medikamente künftig verblistert in passenden Dosierungen ausgegeben.

Sie haben einen Fulltime-Job mit bis zu 60 Stunden die Woche. Woher nehmen Sie die Kraft für Ihr ehrenamtliches Engagement?

Prof Dr. Oette: Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch Anspruch auf eine vernünftige medizinische Versorgung hat – ob krankenversichert oder nicht. Solange wir das nicht hinbekommen, ist jeder Einzelne gefragt. Und mir liegen diese Menschen besonders am Herzen.

Haben sich denn die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren zum Positiven verändert?

Prof Dr. Oette: Eher nicht. Nicht nur die COVID-19-Pandemie hat die Schere zwischen arm und reich weiter geöffnet: Das Armutsrisiko in Deutschland ist von 10 auf 16 Prozent in den letzten zehn Jahren gestiegen. In NRW sieht man das besonders stark, gerade bei Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem aus Osteuropa.

Gibt es denn auch Lichtblicke?

Prof Dr. Oette: Ja, zum Beispiel den Ansatz „Housing first“. Dieses Konzept beendet Wohnungslosigkeit unmittelbar und bietet flexible wohnbegleitende Hilfen zum dauerhaften Wohnungserhalt an. Regulärer Wohnraum wird an erste Stelle gerückt – ein entscheidender Unterschied zum derzeit meist praktizierten System. Darin müssen Betroffene oft ihre „Wohnfähigkeit“ zunächst unter Beweis stellen.

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Prof Dr. Oette: Darüber freue ich mich sehr und bedanke mich. Mir ist allerdings noch viel wichtiger, dass die Verbesserung der medizinischen Versorgung von Wohnungslosen vorangeht. Denn da gibt es noch sehr viel zu tun.

Prof. Dr. Mark Oette
Prof. Dr. Mark Oette