1A-Award 2020,  Arzt

Willkommen im Land der fliegenden Diagnosen

Telemedizinisches Expertenkonsil „PädExpert“ für den 1A-Award nominiert

Spezialisierte Kinder- und Jugendärzte findet man fast nur in großen Städten. Für chronisch kranke Patienten und ihre Eltern auf dem Land oder solche mit unklarer Diagnose bedeutet das häufig: lange Anfahrten, mitunter sehr lange Wartezeiten auf einen Termin und meist mehrere Termine bis zur endgültigen Diagnose.

Ein Besuch beim spezialisierten Kinder- und Jugendarzt stellt Patienten bzw. ihre Eltern häufig vor eine Herausforderung. Oft wären die Strapazen gar nicht notwendig – eine virtuelle Konsultation zwischen dem betreuenden Kinder- und Jugendarzt vor Ort und dem Experten kann in vielen Fällen ausreichen. Möglich wäre das über das telemedizinische Expertenkonsil „PädExpert“, das für den diesjährigen 1A-Award nominiert ist.

Das Problem: Viele pädiatrische Fachärzte mit bestimmter Schwerpunktausrichtung (z.B. Kinderkardiologie, Kinderpneumologie oder Kinderrheumatologie) sind vor allem in Ballungsräumen zu finden. Sie digital mit anderen Ärzten zu verknüpfen, war die Idee des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärz­te e.V. (BVKJ), der allgemeinpädiatrisch tätige Kinder- und Jugendärzte sowie spezialisierte Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin unter einem Dach vereint.

Um den Zugang zum Telekonsil für die Ärzte möglichst niedrigschwellig zu halten (ein Internetanschluss in der Praxis reicht aus), wurde eine spezielle Datenschutzarchitektur entwickelt, bei der die personenbezogenen Daten des Patienten von den medizinischen Daten getrennt werden. Dieses Verfahren („Data-Split“) wurde sowohl vom Landesamt für Datenschutz in Bayern als auch bei den Krankenkassen als sehr sicher bewertet und war die technische Basis für die bundesweite Einführung von „PädExpert“ vor fast zehn Jahren.

Mithilfe von Anfragealgorithmen, die für jede Indikation nach den jeweils gültigen medizinischen Leitlinien entwickelt wurden, kann der anfragende Arzt sehr schnell eine Fragestellung zu einem unklaren Befund oder einer neu auftretenden Symptomatik bei seinem Patienten an den ausgewählten Experten schicken. Da das System asynchron angelegt ist, kann jeder Arzt gemäß seines eigenen Zeitmanagements Fragen stellen bzw. beantworten.

Dies ist ein entscheidender Vorteil gegenüber dem bisherigen Vorgehen, diese Fälle telefonisch abzuklären – denn dafür müssen beide Teilnehmer gleichzeitig verfügbar sein. Der Erfolg des Systems stellte sich so sehr schnell ein, denn vielen Patienten wurde der mühsame Weg zum Spezialisten erspart. Mehr als 80 % der „PädExpert-Fälle“ konnten bisher online gelöst werden, ohne dass eine weitere Vorstellung beim Experten notwendig war.

„Ein weiterer Vorteil für die Patienten ist es, dass sie weiterhin in der vertrauten Umgebung ihres langjährigen Kinder- und Jugendarztes betreut werden“, erklärt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des BVKJ, „außerdem liegen konkrete Diagnosen deutlich schneller vor. Früher brauchte es im Schnitt 25 Tage, heute sind es gerade mal noch acht Tage.“

Die telemedizinischen Konsultationen zwischen den Ärzten werden inzwischen von mehr als 80 gesetzlichen Krankenkassen erstattet (und auch allen privaten Kassen) – das Honorar ist für beide Ärzte (Anfrager und Experte) sehr attraktiv.

Über 1000 Pädiater nutzen das System bereits in der täglichen Praxis. Durch die Corona-Pandemie nimmt die Zahl täglich zu. Das Ziel des Berufsverbands der Kinder- und Jugend­ärzte: Alle Pädiater in Deutschland sollen das System nutzen – und zwar aus Klinik und Praxis. Die sektorenübergreifende Zusammenarbeit ist bereits jetzt realisiert, denn auch Experten aus der Klinik, die eine ambulante Ermächtigung haben, nehmen an dem pädiatrischen Telekonsil teil. Die Anmeldung ist sehr einfach und erfolgt innerhalb von Minuten auf der Webseite.

Auch das Bundesgesundheitsministerium hat das Telekonsil der Kinder- und Jugendärzte im Fokus. Im neuen Digitale-Versorgung-Gesetz, das seit Anfang des Jahres in Kraft ist, wird „PädExpert“ als erfolgreiches Beispiel für digitale ärztliche Konsultationen erwähnt.

Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)

Der Nominierte

Dr. Thomas Fischbach ist seit 2015 Präsident des Berufsverbands der Kinder-und Jugendärzte (BVKJ) und praktiziert als Kinder- und Jugendarzt seit über 25 Jahren in Solingen (Nordrhein-Westfalen). Er ist außerdem Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Deutsches Forum Kinderzukunft e.V. und Vorstand der Dt. Liga für das Kind.